Bauingenieurin beginnt Ausbildung: „Mir fehlte die praktische Erfahrung“
Zuerst die Ausbildung, dann das Studium – so läuft es gewöhnlich. Im Fall von Eva Blain ist es genau anders herum. Die Regensburgerin fühlte sich trotz ihres Bachelor-Abschlusses im Fach Bauingenieurwesen nicht optimal auf den Berufsalltag vorbereitet. Auf realen Baustellen sammelt die angehende Zimmerin jetzt eine Menge praktischer Erfahrungen.
Während ihrer Ausbildung zur Zimmerin ist der Hammer ihr bevorzugtes Werkzeug. Als Bauingenieurin arbeitet Eva Blain mit dem Tablet. – © bild-text-ton.de
Dynamisch und flink läuft Eva Blain über die Gerüsttreppen in den Dachstuhl der kleinen Wallfahrtskirche St. Afra im Felde bei Friedberg. In luftiger Höhe befindet sich ihr Arbeitsplatz. Zusammen mit drei Kollegen arbeitet sie dort an der Sanierung des Dachs der Kirche. Eine anspruchsvolle und äußerst individuelle, handwerkliche Tätigkeit. Hier kann sie ihren Ausbildungsberuf Zimmerin von Grund auf erlernen.
Examen nach sieben Semester
Die 24-jährige Regensburgerin hat bislang einen interessanten Berufsweg. Mit dem Abitur in der Tasche schrieb sie sich an der Rhein-Main-Hochschule in Wiesbaden im Fach Bauingenieurwesen ein; Studiendauer sieben Semester für den Abschluss Bachelor. In wenigen Wochen wird sie ihre Examensurkunde in Händen halten und kann sich damit einen Arbeitsplatz in der Baubranche suchen. Dort werden zum Beispiel Bauleiter dringend gesucht. Doch trotz sehr guter Noten, stimmte es für Eva Blain nicht: „Ich habe zwar wirklich gute Fachkenntnisse, wenn es um die Theorie geht. Aber von der Praxis, vom Einsatz auf der Baustelle, da habe ich einfach zu wenig Ahnung und Erfahrung“, sagt sie.
Trotz der Pflichtpraktika des Studiums und freiwilliger Arbeitseinsätze in Semesterferien, fühlte sich Eva Blain nicht optimal auf ihre kommenden Aufgaben vorbereitet. Schnell reifte ihr Entschluss, nach dem Studium noch eine richtige handwerkliche Ausbildung zu absolvieren.
„Selber wissen und erfahren“
Dipl.-Ingenieur Werner Luther, Geschäftsführer der Eigner Bauunternehmung GmbH in Nördlingen, staunte nicht schlecht, als er die Bewerbung von Eva Blain erhielt. „Normalerweise geht es andersrum – zuerst eine Ausbildung und dann ein Studium, eventuell beide Bereiche parallel. Doch mit einem abgeschlossenen Studium eine Ausbildung zu starten, das hatte ich in meiner Unternehmertätigkeit bisher noch nicht erlebt“, berichtet Luther und lud die junge Frau umgehend ein, sich vorzustellen. „Warum?“ – das war für Luther die zentrale Frage. Diese Frage konnte Eva Blain auf den Punkt beantworten: „Ich habe keine Praxis! Ich möchte die Tätigkeiten selber erfahren und kennenlernen.“ Für Luther war das ein spannender Ansatz und beide unterzeichneten nach zwei Stunden Gespräch den Ausbildungsvertrag. Vier Tage später startete die Ausbildung.
Werner Luther mit seiner Auszubildenden Eva Blain auf der Baustelle in Friedberg. – © bild-text-ton.de
Gut im Team aufgenommen
Der Start gelang perfekt. Bei ihrem ersten Tag auf der Baustelle wurde sie von ihren männlichen Kollegen super aufgenommen und die meisten fanden es gut, dass sie etwas älter ist und mit großer Ernsthaftigkeit an die Ausbildung herangeht. „Wir pflegen bei uns im Unternehmen einen wertschätzenden, aber dennoch legeren Umgangston und ich war mir sicher, dass die junge Frau gut ins Team meiner Mitarbeiter passt. Ebenso interessierte mich auch, wie sich Eva in der Ausbildung entwickelt“, erklärt Werner Luther seine Beweggründe. „Hinzu kommt, dass mich auch ihr Mut, sich nach vorne zu entwickeln, sehr beeindruckt hat. Moderner zu werden, etwas auszuprobieren und neue Wege zu gehen, ist für mich und mein Unternehmen eine wichtige Zielsetzung“, schildert Luther seine Intention.
Philosophie der neuen Wege
Doch nicht nur im Personalbereich nimmt das Nördlinger Unternehmen, das erst vor kurzem als Toparbeitgeber im Donau-Ries ausgezeichnet wurde, eine Vorreiterrolle ein. „Wir arbeiten sehr eng mit Hochschulen und Universitäten zusammen, um am Bau neue Techniken zu testen und zu etablieren. Leben in der Vergangenheit geht gar nicht“, betont Geschäftsführer Luther und erzählt, dass im Unternehmen derzeit selbstlernende Roboter, die die Arbeit auf den Baustellen erleichtern sollen, erprobt werden. „Dieser Austausch funktioniert und bringt uns auf jeden Fall weiter.“
Zukunft in der Baubranche
Für Eva Blain ist der Ausbildungsplatz bei der Eigner Bauunternehmung GmbH ein Glücksgriff. Derzeit plant sie, nach der Ausbildung noch die Meisterprüfung im Zimmererhandwerk abzulegen, und weitere Perspektiven hat ihr das Unternehmen bereits in Aussicht gestellt. „Engagierte, tüchtige Mitarbeiter sind bei uns gefragt, da bieten wir gerne eine Weiterbeschäftigung an“, betont Werner Luther.
Artikel: DHZ Deutsche HandwerksZeitung